
Familientreffen zu Weihnachten bieten gewisse Rituale. Sie sorgen aber durchaus auch für Überraschungen.
Weihnachtsmann in der Wanne
Badetag anno dazumal
Geht es Ihnen ähnlich? Weihnachten steht vor der Tür, und plötzlich denkt man wieder gerne an die vielen zurückliegenden Feste. Zum Beispiel an das mit dem Weihnachtsmann in der Wanne am Tag vor Heiligabend. Körperpflege war da noch Kult.
Körperpflege? Ja, Körperpflege! Lang, lang ist es her, da stieg am Tag vor Weihnachten ein Familienmitglied nach dem anderen in die Badewanne, wusch sich – oder ließ sich wie in meinem Fall abschrubben, bis die Haut rot und schrumpelig und kurz davor war, als Lochmuster zu enden. Da kannte meine Mutter kein Pardon. Mein Protest hin, mein Protest her.
Nun hatten wir in den sechziger Jahren, in denen ich hier gerade schwelge, als Stadtmenschen das Glück, eine feste Badewanne zu besitzen. Auf dem Land sah das mancherorts ganz anders aus. Warmes Wasser aufdrehen und in die Wanne steigen. Nee nee, nichts da. Damals gab es tatsächlich noch viele Häuser, die zwar eine prächtige gute Stube, aber kein eigenes Badezimmer hatten. Dafür allerdings eine mobile Badewanne aus Zink.
Wer sich ein Bad darin gönnen wollte, nahm es in Omas Küche ein. Die bot sich allein schon deshalb an, weil sie über einen Abfluss für das Schmutzwasser verfügte – und den einzigen Wasserhahn im Haus. Halt, im kleinen Stall nebenan befand sich ebenfalls einer. Was heute Warmwasserthermen machen, übernahm damals der Herd. Auf ihm nämlich wurde im riesengroßen Kessel das Wasser erhitzt und mit ihm der ganze Raum. Finnisches Saunafeeling pur.
Papa schleppte ganz allein die Badewanne rein
Während also das Wasser im Kessel langsam vor sich hin dampfte und zischelte, schleppten die Kräftigen unter uns, meist also Papa ganz allein, die Badewanne rein. Kein Wunder, dass er den Badetag vor Weihnachten ebenso wenig mochte wie ich, nur eben aus anderen Gründen. Aber besagter Badetag war nun einmal Tradition, und wenn der Kalender Weihnachten bei Oma in Schleswig-Holstein vorsah, dann kamen wir um das zweitägige Familientreffen bei ihr nicht herum. Papas Protest hin, Papas Protest her.
Immerhin war das Bad in ihrer Küche noch besser als der Gang in die öffentliche Badeinstitution, von der Mama in dem Zusammenhang gerne erzählt. Das war ein kleiner Raum mit Wanne und Dusche und lag, heute kaum vorstellbar, im einzigen Kinogebäude weit und breit mitten im Ort. Für zwei Deutsche Mark konnte man es sich darin für einige Zeit gut gehen lassen – am Tag vor Weihnachten selbstverständlich mit Wartezeit. Denn da war der Andrang besonders groß.
In Omas Küche übrigens auch. Hatte ich schon erwähnt, dass nicht nur meine recht überschaubare Familie dort badete, sondern ebenfalls die neunmalklugen Vettern aus der Nachbarschaft? Echte Lausbuben waren das, denen keine Wannenakrobatik zu viel wurde, nur, um uns zu zeigen: Wir ernten später ganz gewiss als Weltmeister im Schwimmen Ruhm und Ehre, ihr werdet schon sehen. Das einzige, was ich sehen konnte, war der Schmutz, den sie in der Wanne hinterließen. Es grenzte daher an ein Weihnachtswunder, dass ich, die stets nach ihnen baden musste, überhaupt sauber wurde.
Später weichte Oma noch Buntwäsche ein
Unterdessen hatte sich Papa erfolgreich dem Zinkwannenritual entzogen und war mit neuen Ausreden und alten Zeitungen unterm Arm in die gute Stube geflüchtet. Für mich dagegen nahm die Prozedur den gewohnten Lauf. Seife, Lappen, Seife, Lappen, Handtuch – und dann flugs heißes Wasser obendrauf, damit schließlich „de Froolüü“ das reichlich strapazierte Nass wenigstens schön warm genießen konnten. Später weichte Oma noch die Buntwäsche darin ein. Sauber.
Um es kurz zu machen: Die ganze Zeremonie fand ein jähes Ende, als Onkel Paul, wie wir ihn zu nennen pflegten, nach seinem traditionellen Umzug als Weihnachtsmann, den er stets mit mehr als einem guten Schluck zu feiern wusste, seine Scheune mit Omas Stall verwechselte. Dort fand ihn Papa in unserer Zinkwanne, so, wie Gott ihn schuf, die Stiefel fein säuberlich am Kopfende abgestellt. Das war der Moment, an dem Oma beschloss, sich eine feste Wanne im Haus und damit ein eigenes Bad zu gönnen. Unser aller Protest hin, unser aller Protest her.